Evangelische Kirchengemeinde Rothenberg

 

ab Sonntag, 20.12.2020 um 11:00 Uhr auch auf Youtube                 als PDF

 

 

Eine Erzählung von
Reinhold Hoffmann
Odenwälder Landstr. 1
65760 Oberzent - Rothenberg

Alle Hirten haben sich auf den Weg zu der überfüllten Herberge gemacht, in der in einer Krippe das neugeborene Kind liegt, das ihnen die Engel als den Heiland angekündigt haben.
Alle Hirten?
Wir dürfen den einsamen Hirten bei einem Selbstgespräch belauschen, der bei der Herde blieb…
Ein Geräusch lässt ihn hochschrecken…

 

Was war das?
Man muss höllisch aufpassen!

Langsam werde ich doch zu schreckhaft und zu ängstlich …
Ich werde alt und habe zu viel schlechte Erfahrung gemacht…

Ich hätte darauf bestehen müssen, dass noch jemand da bleibt!
Es ist ein gefährliches Leben hier draußen!

Erst neulich wieder hat es eine üble Schlägerei gegeben! Ein Ackerbauer hat uns vorgeworfen, wir hätten mit unserer Herde seine frisch eingesäten Kornpflanzen zerstört! Der soll doch froh sein, dass unsere Tiere auf seinen Acker strunzen und ihn düngen!

Naja – damit muss man wohl leben, dass die Jungs mit ihren Äckern immer gleich aggressiv werden, wenn sie uns sehen.
Aber mit unseren Tieren müssen wir doch auch irgendwo hin!

Wirklich schlimm ist es, wenn wir sogar als Hirten untereinander Streit bekommen wegen der Brunnen. Wenn‘s ums Wasser geht, dann gibt es kein Pardon und keinen Zusammenhalt mehr.
Ich hörte von befreundeten Hirten, dass bei dem Brunnen im Nachbartal vor vier Wochen oder waren es fünf? ... man verliert jedes Zeitgefühl wenn man hier draußen auf der Wanderschaft lebt…
… egal, da ist ein Streit jedenfalls so schlimm geworden, da hat ein Hirte einen anderen erschlagen im Streit um das Wasser.

Ich werde langsam zu alt für das Alles.

(Er schaut nochmal nach)

Ich hab viel zu oft Angst!
Und das darf nicht sein! Angst darfst du keine zeigen – dann hast du gleich verloren…
Angst machen mir nicht die wilden Tiere. Mit Feuer und Stangen kann ich die vertreiben.
Angst machen mir die Menschen.
Dabei weiß ich es genau – ich bin ja schon lang genug dabei – Angst haben alle!
Angst vor dem Besitzer der Schafherde...
Angst vor anderen Hirten...
Angst vor den Ackerbauern...
Angst um die Familie – die man nie sieht und man muss hoffen, dass alles in Ordnung ist…
Angst vor dem Spott und der Verachtung...

Manchmal – wenn ich nicht schlafen kann – dann wünsche ich mir, dass ich eines Tages keine Angst mehr haben muss.

Heute Abend hat Asser erzählt, dass seine Frau krank geworden sei. Ein Arzt ist teuer und er hat kein Geld übrig. Da ist aber ihre Tochter. Acht Jahre ist sie alt. Ein reicher Händler hat ihm angeboten, er würde ihm die Tochter abkaufen.
Naja, so hat er das nicht gesagt.
…er würde ihm das Geld leihen und seine Tochter müsste dann bei ihm die Schulden abarbeiten – man kennt das ja… 
…nicht gut…

Er hat mir leid getan. Er tut immer so stark – wie wir alle!
Die Wahrheit ist: Wir tragen doch alle Masken!
Wir geben uns stark und unverletzlich. Aber
...wir alle – sind klein, schwach und verletzbar.
Wir alle haben Angst!

Ich habe ja auch Kinder. Enkel auch schon. Ich kenne seine Angst!
Ich weiß, was für Bilder in seinem Kopf ablaufen!
Ich weiß, wie das ist, die Schmerzen mit zu fühlen wenn jemand krank ist, den man liebt…
Was gäbe ich nicht dafür, dass meine Kinder und Enkel in einer Welt ohne Angst leben dürften!

Diese Stimme vorhin.
Die Stimme aus dem Licht.

Fürchtet Euch nicht!

Was wäre das toll,
…sich nicht mehr fürchten zu müssen.

...

Was die anderen wohl gerade erleben?
…jetzt ärgere ich mich doch, dass ich hier geblieben bin!
Das war schon ein bemerkenswertes Schauspiel, das wir da eben erlebt haben! Der Engel, der Gesang, das Licht… Taghell war es plötzlich – aber es hat nicht geblendet.

Und was für eine Einladung!

Fürchte dich nicht!

Der Heiland ist geboren und wir sollen ihn sehen – in Bethlehem…

Ich dachte, ich träume!

Die Jungs waren dann sofort Feuer und Flamme! Wir gehen da hin! Wir wollen das sehen. 
Ich hab gebremst.
Was soll denn mit den Tieren werden? Wir können die doch nicht alleine lassen! Wir haben eine Aufgabe eine Pflicht und Verantwortung!
Da war sie wieder: meine Angst!

Die anderen sind jetzt wohl bei dem Kind.

Was sie sehen?
Ob man es dem Kind ansieht, wenn es der Heiland ist?

Wenn sie zurückkommen…
…ich wünsche mir so sehr, dass sie mir etwas Gutes erzählen!
Und wenn - werde ich ihnen das dann glauben können?

Fürchte dich nicht….

Wenn das Kind der Heiland ist…
…dann bete ich zu Gott, dass er uns in eine Zeit ohne Angst führen wird
… er muss uns lehren, dass wir den Kampf um das Überleben nicht gegeneinander, sondern miteinander führen
…er muss uns Mut machen, dass wir nicht Angst vor einander haben, sondern uns vertrauen können!

Frieden…

Fürchte dich nicht…

Ich erinnere mich an Worte der Propheten.
Ich krieg sie nicht mehr ganz hin…
Wie war das?

„Schwerter zu Pflugscharen…“
„…dass Frieden werde“
„Dass Güte und Treue einander begegnen, Gerechtigkeit und Friede sich küssen;
„Da werden sie ihre Schwerter zu Pflugscharen machen und ihre Spieße zu Sicheln. Kein Volk wird das Schwert erheben gegen ein Anderes. Die Völker werden künftig nicht mehr lernen, wie man Krieg führt.“

Ich höre sie noch:
Die himmlische Stimme in meiner höllischen Angst:

Fürchtet Euch nicht!

Wie gerne möchte ich diesen Worten vertrauen.

Das wäre Freiheit…
…wenn mein Leben nicht mehr von Angst bestimmt würde

Möge der Heiland geboren sein! 
…für meine Kinder
…meine Enkel
…für diese Welt
…für mich

 

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