Evangelische Kirchengemeinde Rothenberg

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Ostergruß

Der anstrengende Aufstieg in den Himmel

Die Himmelsleiter

Das Neckartal ist eine zauberhafte Flusslandschaft. Man kann sie auf vielfältige Weise erkunden. Mit Auto, dem Fahrrad, der Bahn oder auf dem Wasser, mit einem Ausflugsschiff oder mit dem Kanu. Jedes Mal erlebt man die Region anders.

Eine weitere beliebte Weise der Erkundung ist das Wandern und eine der bekanntesten Touren entlang des Neckars ist der sogenannte Neckarsteig. Die Entwickler dieses Premiumweges haben sich einiges einfallen lassen, um diesen Steig zu einem Weg mit Auszeichnungen zu machen, der weit über die Region bekannt ist.

Bereits der Auftakt hat es in sich. Der Neckarsteig beginnt in der Heidelberger Altstadt. Der Ortsunkundige ahnt meist nicht, was ihm bevorsteht. Es geht auf den Königsstuhl  und es sind viele Wege, die hinaufführen. Der ambitionierte Wanderer verzichtet natürlich auf die bequeme Bahnfahrt und geht zu Fuß. Manch einer wird diesen Entschluss bereuen, denn es geht mehrere hundert Höhenmeter steil bergauf.

Das Verlockende aber ist die Möglichkeit, eine Himmelsleiter zu benutzen, um nach oben zu kommen. Man kennt diese Himmelsleiter aus der Bibel und sie wird in der Regel von Engeln benutzt, die sich zwischen Himmel und Erde bewegen. Auf alten Malereien kann man häufig wohlgenährte, pausbäckige Putten sehen, die sich mit einer schwebenden Leichtigkeit zwischen den Sphären bewegen. Wer die Himmelsleiter hinauf zum Königsstuhl wählt, wird schnell merken, dass dieser Aufstieg überhaupt nichts mit Leichtigkeit zu tun hat. Fast zweitausend Stufen müssen überwunden werden. Als Vorbereitung auf eine Himalayaexpedition ist das eine hervorragende Trainingsstrecke. Für den Durchschnittswanderer ist die Himmelsleiter eher ein Leidensweg. Wer diesen Aufstieg gewählt hat, kommt nicht um die Erkenntnis herum, dass die Himmelsleiter ein zweifelhaftes Vergnügen ist. In den Himmel zu kommen, ist eine anstrengende Angelegenheit. Wer nicht aufgibt, wird allerdings mit einem wunderbaren Ausblick und dem Gefühl, den Himmel zumindest sehr nahe zu sein, belohnt. Aber bis dahin muss man bereit sein, an seine Grenzen zu gehen. Wer immer auf die Idee kam, diese Treppenstufen als Himmelsleiter zu bezeichnen, hat sich entweder einen Scherz erlaubt oder dem Wanderer eine wichtige Botschaft mitgegeben: Wer in den Himmel kommen will, muss sich anstrengen.

Die Himmelsleiter ist auch ein Symbol, um Gegensätze miteinander zu verbinden. Meist denken wir an Himmel und Erde. In diesen Tagen liegt etwas anderes nahe. Die Himmelsleiter könnte auch Karfreitag und Ostern miteinander verbinden. Wie kommen wir aus dem Dunkel des Todes in das Licht des Lebens? Wer im Dunkel der Trauer, der Enttäuschung, der Hoffnungslosigkeit, der Verzweiflung festsitzt, ahnt, wie schwer es ist, da wieder herzauszukommen. Selbstverständlich ist das nicht. Aufmunterndes Schulterklopfen und der Satz „Das wird schon wieder“ sind keine Hilfe und eher ein Ausdruck von Hilflosigkeit. Trauerprozesse dauern lange und verlangen den Betroffenen das Äußerste ab. In Konflikten die eigene Schuld wahrzunehmen und dafür einzustehen, kostet viel Überwindung. Sich seine eigenen Grenzen einzugestehen und fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, erfordert Mut und Überwindung. Schwere Krankheiten, die ein Leben verändern, bedeuten Unsicherheit und eine enorme Anpassungsleistung.

Wer Karfreitag hinter sich lassen will, kommt nur über die Himmelsleiter in das Leben. Und dieser Weg ist anstrengend, mühsam, herausfordernd. Und es ist überhaupt nicht sicher, am Ende auch wirklich ans ersehnte Ziel zu kommen. Jesus war ganz unten angekommen als er am Kreuz hing. Er fühlte sich sogar von Gott verlassen. Was dann in den folgenden drei Tagen passierte, entzieht sich unserer Kenntnis. Er ist wohl seine eigene Himmelsleiter hinaufgestiegen, so wie auch wir unserer eigene Himmelsleiter hinaufsteigen müssen, um aus der Todeszone herauszukommen, um den Weg aus dem Dunkel ins Leben zu bewältigen. Diese Aufgabe hat Jesus für uns nicht stellvertretend erledigt. Er hat uns durch sein Leben und Sterben eine Möglichkeit aufgezeigt. Gehen müssen wir diesen Weg ganz alleine. Und dieser Weg ist mühsam. Er braucht Mut und Zuspruch, Ausdauer und Vertrauen. Wer diesen Weg durch das Dunkel bewältigt hat, ist am Ende ein neuer Mensch. Das Schwere wird überwunden, die Leichtigkeit des Lebens und die Freude am Schönen ist wieder möglich. Und diese Ostererfahrung ist ansteckend, befreiend. Auferstehung ist möglich, wenn wir bereit sind, die Himmelsleiter zu besteigen. Am Ende des Weges wartet Ostern, ein Fest des Lebens.

Pfarrer Jörg Awischus 

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