Evangelische Kirchengemeinde Rothenberg

Als Videoandacht ab 24.12.18:00 Uhr

 

Tobias,


Der Wirt aus Bethlehem erzählt

 

 

Reinhold E. R. Hoffmann
Odenwälder Landstraße 1
64760 Oberzent -Rothenberg

Bald ist es wieder so weit

Dann wird man überall in der Christenheit diese eine besondere Geschichte erzählen, in der auch ich eine besondere Rolle habe. Ich will euch heute mal die Geschichte aus meiner Sicht erzählen. Es ist nämlich so: Ich fühle mich von Euch immer ein wenig missverstanden.
Ihr tut immer so als wäre ich grimmig, abweisend und mürrisch. Das stimmt gar nicht.
Vielleicht habe ich so gewirkt, denn: besorgt war ich schon… Auch unsicher…
… und ich habe helfen wollen.

Ach so: Wer ich bin? - Mein Name ist Tobias. Mir gehört das Gasthaus… Also, ich bin der Wirt. … ja, der Wirt;
Ich habe ein großes Wirtshaus. Von meinem Vater habe ich es übernommen. Dann haben wir ein wenig vergrößert… 
Es gibt jetzt einen großen Ess- und Speisesaal.

Gerade jetzt, in diesen unruhigen Tagen: Was ist da für ein Treiben! Die Leute kommen von weit her! Manche haben Dinge mitgebracht, die sie dann an der Feuerstelle gekocht haben: eine bunte Mischung von Gerüchen liegt in der Luft! Und dazu ein lustiges und fröhliches Erzählen.

Aber auch: manche dramatische Wendung in einem Leben wurde berichtet und mit anderen geteilt...
Ihr könnt mir glauben… Es war eine harte Zeit!
Manche verwundete und geschundene Seele ist mir in meinem Wirtshaus begegnet!

Nebenan ist ein großer Schlafsaal mit dreißig Schlafstellen. Die Betten sind bequem. Damit ihr es versteht: es gibt fünf Betten auf denen jeweils sechs Menschen liegen können. Von dem Schlafsaal kommt man gut in den Stall. Die Wärme und der beruhigende Geruch der Pferde und all der anderen Tiere weht sacht herüber. 

In dieser Nacht waren schon zweiunddreißig Gäste da. Es war eine hektische Zeit… Ein Kommen und Gehen…
Ihr erinnert euch? Die Steuereinschreibungen…

Manche kamen aus der Nähe. Sie hatten eine Tagesreise oder so hinter sich. Andere haben die Eintragung in die Liste auf dem Weg zu einem größeren Markt erledigt. Nicht wenige waren viele Tage unterwegs. Einer war dabei, der führte einen Ochsen mit sich, den er auf einem Markt verkaufen wollte. Dafür hatte er dann noch einen Tag Wanderschaft vor sich.

Langsam verebbte das Plaudern und Singen. Dafür war immer deutlicher so manches kräftige Schnarchen zu hören.
Ich liebe diesen Augenblick, wenn das Gasthaus zur Ruhe kommt.
Ein volles Haus bedeutet für mich natürlich Geld und Sicherheit!
Aber noch etwas bewegt mich, und das ist mir fast noch wichtiger:
Wenn das Haus zur Ruhe kommt, dann strahlt es Geborgenheit und Vertrauen aus. Wenn so viele Menschen, in einem Saal schlafen, dann geht das nur mit Vertrauen.  Ich sitze dann gerne noch eine Weile und lausche in die Dunkelheit.

In dieser Nacht jedoch kam ich nicht dazu.

Auf einmal noch ein Klopfen. Nicht laut – aber doch drängend.
Man hörte die Not.
Mit einem Seufzen stehe ich auf, um zur Tür zu gehen.
Rebekka, meine Frau schaut mich voller Sorge an. Ich sehe die Frage in ihrem Gesicht: Was wird das jetzt werden?

Und dann: Draußen steht ein junges Paar. Die junge Frau – ich schätzte sie auf 14 oder 15 Jahre: Sie sitzt auf einem Esel.
Ihr Gesicht…
… es erzählt von Schmerzen.
Ich sehe sie an und weiß: diese Schmerzen sind keine normalen Schmerzen.
Das sind keine Schmerzen im Rücken, wie man sie hat, wenn man zu lange auf einem schwankenden Eselsrücken gesessen hat.
Nein!
Das hier ist anders:
Die Frau ist…
schwanger...
hochschwanger!
Sie hat Ihre Wehen…

Ich sehe ihren Mann an…    Wie kann der nur….  … so eine Reise!

Und der schaut mich an. „Wir suchen…“ beginnt er zu sprechen.
„Jaja, schon klar…“ sage ich. „Hilf deiner Frau vom Esel! Und dann kommt rein! Setz sie da hin, ans Feuer – noch ist es warm“

„Rebekka!“ – rufe ich meine Frau. „Hol warmes Wasser! Schau dass du helfen kannst…“
Ich weiß: Rebekka kennt sich aus….

Ich gehe ein wenig weiter in die andere Ecke der Gaststube…
Gut, dass alle schon schlafen. So haben die jungen Eltern diesen Augenblick für sich. Schlimm genug, wenn man ein Kind in der Fremde zur Welt bringen muss…
Dann sollte man wenigstens ein bisschen Schutz haben.
Ganz still ist es.
Noch nicht einmal ein Schnarchen ist zu hören…

Und dann:
Es ist wie eine Erlösung!
Als ob ein Herold seine Fanfare zum Sieg erklingen lässt, so schallt der erste Schrei des Neugeborenen in die Nacht. Nach Triumph, Würde und Hoheit klingt es, als das kleine Wesen mit seinem Schrei erstmals seine Lungen füllt.
Tief nimmt es die Luft der Welt in sich auf, um sie als Atem voller Leben wieder auszusenden.
Und da ist die Stube auf einmal wieder voll. Es scheint, als hätten alle nebenan in der Schlafstube mitgezittert und gewartet.Und jetzt teilen sie alle die Erleichterung über die glückliche Geburt und heißen das neue Leben willkommen. Es ist ganz merkwürdig…
Uns alle verbindet eine ganz zärtliche Stimmung.

Ich weiß nicht ob die anderen es auch sehen können: dieses ganz besondere Leuchten über diesem Kind…

Nachdem es tief Luft geholt hat und bei uns angekommen ist, da sieht es alle an. Jedem hat es seinen Blick geschenkt.
Und was für einen Blick!
Voller Liebe…,
… voller Verstehen…
… voller Vertrauen…
Es ist…  ich suche nach einem Wort…   es ist … Frieden!

Als es mir in die Augen sieht, habe ich das Gefühl, Gott selbst, der Schöpfer, sieht mich an. Und seine Augen sagen „Ja“ zu mir.
Ja, du bist richtig…
Ja, du kannst …  
… Gott?

Was für eine verrückte Vorstellung…    Gott?    Hier bei uns?  
In meinem Wirtshaus - … als Mensch?

Wie auch immer: es ist eine ganz besondere Nacht. 

Auf einmal fällt mir ein: Der Esel steht ja noch draußen. Er muss noch in den Stall. Als ich ihn hineinführe, sehe ich: nur neben dem Ochsen ist noch Platz. Ob das gut geht? Ochs und Esel nebeneinander? Aber der Ochse sieht uns kommen, geht einen Schritt zur Seite – wie um Platz zu machen, nickt bedächtig mit seinem großen schweren Kopf, als wolle er sagen:
„Ist schon recht – der Platz reicht für uns beide!“

„Ein Ochse kennt seinen Herrn und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt's nicht, und mein Volk vernimmt's nicht.“
Dieses Wort des Propheten Jesaja fällt mir ein, als ich die beiden da nebeneinander stehen sehe. Ob am Ende in dieser Nacht…?

Da ist es wieder, dieses seltsame Empfinden:  … Gott?  … bei mir? 
… in meinem Gasthaus?
Ach was…
… oder doch?
Was habe ich denn bloß vorhin in dem Blick des Kindes gesehen?

Während ich da stehe, wandern meine Gedanken wieder zu dem Kind… Es soll gut versorgt sein in seiner ersten Nacht auf dieser Welt. 
Mir kommt eine Idee: Der sicherste Platz für das Kind in all diesem Gedränge wäre wahrscheinlich eine Futterkrippe. Warm im Stroh und sicher über dem Boden, dass niemand aus Versehen auf das Kind tritt…
Die jungen Eltern würden vermutlich ohnehin kaum schlafen können und könnten in der Wärme des Stalles sitzen bleiben. Und wenn die junge Mutter schließlich Schlaf braucht, dann kann sie auf der Schlafstelle neben dem Durchgang zum Stall liegen. So ist sie dann auch noch ganz nah bei ihrem Kind…

Jetzt waren es auf einmal fünfunddreißig Gäste… Ich war ein wenig überrascht. Aber auch stolz! Schließlich war ich Zeuge davon, dass so viele unterschiedliche Menschen plötzlich ganz fürsorglich - als wären sie verwandelt - füreinander da waren. Es gibt doch Hoffnung in dieser Welt! Das wusste ich bin dieser Nacht.

Ach ja, und als dann noch mehr Gäste vorbei kamen, - Sterndeuter und auch ein paar Hirten schauten vorbei - da war auch das kein Problem. Irgendwie hat der Platz gereicht Alle waren bewegt von der Freundlichkeit die von diesem kleinen Jungen ausging.  Jesus haben sie ihn genannt.
Ja, und dass dann da auch noch ein Stern über unserem Wirtshaus war, naja, das schien mir nur richtig zu sein.
Irgendwie waren wir in dieser Nacht der Mittelpunkt der Welt – und alles war gut.

Ein Geschenk habe ich mitgenommen aus dieser Nacht: Gerne erinnere ich mich daran, wie das war, als ich das Gefühl haben durfte, dass Gott selber mich liebevoll ansieht. Wie oft noch hat mir diese Erinnerung Kraft geschenkt!
Ich will es so sagen: Ich wusste: ich war gesegnet worden.

Und auch die Reisenden: als sie am nächsten Morgen alle weiterzogen, da sah jeder Einzelne von ihnen wie verändert aus. Sie hatten in der Nacht einen ganz besonderen Frieden miteinander erfahren.

Und manch eine verletzte Seele hatte in dieser Nacht Heilung erlebt. Jedenfalls sahen meine Gäste alle irgendwie „geheilt“ aus. Es war wohl eine „heilige“ Nacht!

Ich weiß, zurzeit stellt Ihr Euch darauf ein, diese Nacht zu feiern.
Ihr nennt sie die „Weihnacht“. Ich wünsche Euch, dass es auch euch eine besondere Nacht wird. Es braucht für diese Nacht einen besonderen Blick.
Später hörte ich, das Kind Jesus habe als Erwachsener einmal gesagt: „Selig sind die reinen Herzens sind – sie werden Gott schauen.“
Ich kann nicht sagen, ob mein Herz damals rein war… .

Aber Euch wünsche ich
sehende Herzen für die Begegnung mit dieser Nacht,
damit ihr sehen könnt, was ich gesehen habe!

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